Um seine Talentförderung wird der deutsche Fußball in der ganzen Welt beneidet. Leistungszentren, Eliteschulen des Fußballs, Stützpunkte, Amateurvereine – je nach individuellem Leistungsniveau und Entwicklungsstand erfährt jedes Talent die bestmögliche Ausbildung. Doch wie funktioniert die Talentförderung im Detail? Wie werden aus den Kindern und Jugendlichen von heute die Weltmeister von morgen? Wie sieht die Arbeit an Leistungszentren, Eliteschulen und Stützpunkten aus? DFB.de wirft einen Blick hinter die Kulissen.
Heute am Beispiel von jungen Talenten, die in den Nuller-Jahren beim VfL Neckarau den großen Teams das Fürchten lehrten. Dank der Förderung im kleinen Mannheimer Stadtteilklub, am DFB-Stützpunkt und im Leistungszentrum der TSG Hoffenheim schaffte ein Quartett den Sprung in die Bundesliga. Einer von ihnen war Pascal Groß, der heute Stammspieler beim FC Ingolstadt ist. Sein Vater Stephan trainierte die Talente in Neckarau. Der 62-Jährige blickt zurück.
Die Termine am ersten Bundesliga-Spieltag liegen für Stephan Groß günstig. Er kann sich die Partien seiner ehemaligen Schützlinge allesamt angucken. Am Samstag wird er seinen Sohn Pascal anfeuern, der mit dem FC Ingolstadt beim Hamburger SV antritt. Am Sonntag kann Stephan Groß dann sehen, wie sich Manuel Gulde mit dem SC Freiburg bei Hertha BSC schlägt. Zum Abschluss steht für ihn noch die Partie von Marco Terrazzinos TSG Hoffenheim gegen RB Leipzig auf dem Programm. Insgesamt hat Stephan Groß vier spätere Bundesliga-Profis ausgebildet. Auch Robin Szarka, der aktuell vereinslos ist, brachte es auf drei Einsätze im Oberhaus. Er stand auch auf dem Platz, als sich Hoffenheim in der Saison 2012/2013 durch einen Last-Minute-Sieg bei Borussia Dortmund die Relegationsteilnahme und letztendlich den Klassenerhalt sicherte.
Natürlich hat einer wie Norbert Elgert, Trainer des Jahres 2014, bedeutend mehr als vier Jugendspieler in den Profibereich geführt. Aber der Nachwuchstrainer arbeitet auch beim großen FC Schalke 04. Stephan Groß formte die Talente hingegen beim kleinen VfL Neckarau. "Das war eine wunderschöne Zeit", sagt der heute 62-Jährige im Gespräch mit dem Journalisten Denis de Haas.
Testspielsiege gegen Topklubs
Die wunderschöne Zeit begann kurz nach der Jahrtausendwende. Der Mannheimer Stadtteilklub Neckarau stieg bis in die zweithöchste Jugendspielklasse auf. Wenn der VfL an einem Turnier teilnahm, konnten die Veranstalter den Pokal schon vor dem ersten Spiel gravieren lassen. Stephan Groß‘ Mannschaft dominierte die Konkurrenz. Topklubs wie 1860 und Bayern sowie der 1. FC Nürnberg luden Neckarau zu Testspielen ein. "Die haben wir in der Regel auch gewonnen", sagt Stephan Groß und lacht.
Das Geheimnis des Erfolges kann der frühere Bundesliga-Profi des Karlsruher SC in wenigen Worten beschreiben. "Wir haben einfach sehr viel trainiert", betont Stephan Groß. In den Ferien setzte er auch schon mal eine Vormittagseinheit an. Schließlich sollten die Spieler alles beherrschen: den platzierten Kopfball, den millimetergenauen Pass, den optimalen Spannschuss mit dem linken und rechten Fuß. Stephan Groß begrüßte es auch, dass viele seiner Spieler einmal wöchentlich am DFB-Stützpunktraining teilnahmen. Damals hieß der DFB-Stützunkt noch Pfingstberg-Hochstätt. Robin Szarkas Vater Jürgen, Thorsten Lamers und Carsten Abbe feilten dort mit den Talenten aus Neckarau an Technik und Taktik. Später wechselte der Stützpunkt nach Käfertal, seit 2014 ist er in Mannheim-Rheinau beheimatet, und Carsten Abbeist immer noch Trainer. Auch andere spätere Bundesligaspieler wie Hakan Calhanoglu und Maurice Hirsch wurden dort gefördert.
"Zusätzliche Trainingseinheiten habe ich natürlich begrüßt. Zumal die Verantwortlichen am Stützpunkt das gleiche Verständnis von Fußball hatten wie ich", sagt Stephan Groß. Für den Nachwuchstrainer endete die Arbeit aber nicht, sobald die Bälle wieder im Materialschrank lagen. Stephan Groß vermittelte seinen Spielern auch Disziplin. "Ich habe ihnen immer gesagt, wie wichtig Respekt gegenüber dem Schiedsrichter oder dem Gegenspieler ist", sagt er. Auch eine vernünftige schulische Ausbildung war Stephan Groß wichtig. Wenn sich ein Junge aus der Mannschaft im Unterricht hängen ließ, gab es mal ein klärendes Gespräch. "Mein Vater hat uns allen sehr viel beigebracht", bestätigt Sohn Pascal. "Damit meine ich nicht nur auf dem Platz, sondern auch neben dem Platz. Ich habe ihm sehr, sehr viel zu verdanken."
B-Jugend-Meister unter Streichsbier
Stephan Groß sprach auch oft mit Scouts großer Vereine, die Talente aus Neckarau verpflichten wollten. 2007 war es dann soweit: Gleich sieben Spieler entschieden sich, den Verein in Richtung Hoffenheim zu verlassen. Neben Pascal Groß, Manuel Gulde, Robin Szarka und Marco Terrazzino wechselten auch Marcel Gruber, Anthony Loviso und Philipp Meyer ins Nachwuchsleistungszentrum der Kraichgauer. "Die Zeit war reif, den nächsten Schritt zu gehen. Es hätte keinen Sinn gemacht, die Spieler in Neckarau zu halten. Und in Hoffenheim herrschten einfach optimale Bedingungen", sagt Stephan Groß.
Pascal Groß erinnert sich: "Meine Ausbildung war sehr professionell. Man hat sich sehr darum bemüht die Schulbildung und den Fußball zu verbinden und uns beides unter besten Bedingungen zu ermöglichen. Ich war damals an der Eliteschule in Sinsheim." Beim neuen Klub stellte sich schnell der Erfolg ein. 2008 wurde Hoffenheim durch ein 6:4 über Borussia Dortmund deutscher B-Jugend-Meister. Guido Streichsbier, momentan Trainer der U19-Nationalmannschaft, brachte im Endspiel sechs Spieler aus Neckarau von Beginn an. Vier trafen im Finale.
Über die erfolgreiche Zeit beim VfL und in der Hoffenheimer Jugend reden die jungen Männer heute noch gerne. "Wir kennen uns alle schon sehr lange und sind heute noch richtig gute Freunde. Marco und ich haben schon vor der Zeit bei der TSG Hoffenheim zusammen Fußball gespielt", sagt Pascal Groß. Der Kontakt untereinander ist nie abgebrochen. "Ich sehe die Jungs noch häufig", sagt Stephan Groß. Das gilt auch für die Spieler, denen der Sprung in die Bundesliga verwehrt blieb. Die Laufbahnen von Marcel Gruber, Anthony Loviso und Philipp Meyer endeten frühzeitig. Sie verdienen jetzt in anderen Bereichen ihr Geld.
Die Erinnerung an die Erfolge im Nachwuchsfußball kann ihnen keiner nehmen. Als das Magazin "11 Freunde" die sieben Spieler in Neckarau zusammenbrachte, sollten sie die Zeit beim Mannheimer Stadtteilklub bewerten. Pascal Groß brachte es auf den Punkt. "Das war die geilste Zeit. Ich habe nie wieder so viel Spaß gehabt", sagte der Ingolstädter.
Quelle: Deutscher Fußball Bund/News 27.7.2016